Wenn ich nachts zwischen meinen beiden Lieblingsmenschen – meinem Mann und meinem Sohn – im Bett liege, könnte ich vor Glück platzen. Und trotzdem schafft es vor allem der Große ebenso immer wieder, dass ich vor Wut platzen könnte. Aber dieser scheinbare Widerspruch passt wunderbar zusammen: Besonders die Menschen, die wir am meisten lieben und die uns auch auf Seelenebene am nächsten stehen, haben die (vermeintlich unangenehme) Aufgabe, uns am allermeisten zu unterstützen. Diese Unterstützung bedeutet nicht nur, mit uns Freude zu teilen, uns Mut zu machen und zu trösten, sondern auch, uns unsere blinden Flecken zu zeigen – diese Flecken, die uns leider immer wieder unbewusst davon abhalten, all das zu leben, was wir uns erträumen. Nur wenn wir diese blinden Flecken – Wunden aus Vorleben, der Ahnengeschichte oder Kindheitstraumata – bewusst wahrnehmen und, vor allem, annehmen und noch einmal fühlen, können sie heilen und sich endlich auflösen. Blinde Flecken, die nicht bewusst angenommen und geheilt werden, wirken dagegen wie ein Misthaufen unter dem Sofa: Er stinkt vor sich hin, wir können hin und wieder lüften oder mit Raumspray dagegenhalten, aber er stinkt weiter vor sich hin und verpestet mal dezenter, mal offensichtlicher unser Leben. Wenn wir den Misthaufen aber erkennen, unseren Mut zusammennehmen und ihn bearbeiten, wird die Luft endlich dauerhaft besser. Dami Charf verwendet in ihrem großartigen Buch „Auch alte Wunden können heilen“ die treffende Metapher einer Kellerfalltür, unter der unsere „Monster“ eingesperrt sind. Das Problem dabei ist, dass unser Radius extrem eingeschränkt wird, wenn wir dauerhaft mit einem Fuß auf der Falltür stehen müssen, um die Monster unten zu halten. Ähnlich rauben uns auch unsere blinden Flecken wie Traumata oder alte Opfer und Täter Illusionen im Unterbewusstsein Energie und können unser Leben sabotieren. Die Lösung besteht darin, zu schauen, wo wir getriggert werden: Wann könnten wir vor Wut platzen, vor was haben wir Angst, wo fühlen wir uns ohnmächtig, wo gehen wir in Resonanz? Wenn wir es dann schaffen, innezuhalten und uns klarzumachen, dass dies eine wunderbare Chance darstellt, sind wir schon fast am Ziel. Der zweite Schritt besteht darin, uns bewusst zu machen, dass diese Gefühle (Wut, Angst, Hass, Ungerechtigkeit, Hoffnungslosigkeit, …) schon lange in uns sind und vor der aktuellen Situation nur hochgespült werden. Dadurch können wir uns von der Triggersituation lösen und damit beginnen die unangenehmen Gefühle bewusst zu spüren und zu akzeptieren, dass sie da sind. Diese Gefühle sind nicht „böse“ und es gilt auch nicht, sie schnell wieder unter die Falltür zu verbannen. Sie sind berechtigt, sie sind in Situationen entstanden, die wir – wann und wie auch immer – erfahren haben. Das Schöne ist, dass diese Situationen aber vorbei sind und die Gefühle sich daher nun auch auflösen dürfen. Sie dürfen durch die Falltür hindurchkommen, sich von uns verabschieden und endgültig verschwinden. Und dann kann die frische Luft zurückkommen – wir sind im wahrsten Sinne erleichtert, denn (ur)alter Ballast durfte sich auflösen und wir können den Fuß von der Falltür nehmen – wir sind wieder ein Stückchen freier. Und darin besteht die Unterstützung unserer Lieblingsmenschen, uns zu zeigen, wo wir noch hängen und was wir als nächstes loslassen dürfen auf dem Weg zurück zu uns selbst.

Glaubenssätze
Die Auseinandersetzung mit den eigenen Glaubenssätzen stellt aus meiner Sicht ein wesentliches Puzzleteilchen auf dem Weg zu sich selbst dar.Glaubenssätze sind (meist unbewusste) Überzeugungen über sich selbst und die Welt. Sie entstehen oft schon während der Kindheit...